NUMMER 10

     

INTERVIEW MIT DOMENICO CALARCO

Mariapia Ciaghi

 

 

Mariapia Ciaghi. Er gehörte zu den Gründern von Arizona, dem Staat, der 1965 ihm zu Ehren eine Bronzestatue Pater Kinos in der National Statuary Hall im Kapitol von Washington aufstellen ließ; zwei mexikanische Städte im Bundesstaat Sonora erinnern in ihrem Namen an ihn: Bahía Kino und Magdalena de Kino. Aber nur wenige wissen, dass Eusebio Francesco Kino (1675 - 1711), Jesuit, Gelehrter und im späten 17. und beginnenden 18. Jahrhundert Missionar bei den Pima-Indianern in Arizona, im Trentino geboren wurde, und dass er ein außergewöhnlicher, von Frieden und Kultur geprägter Mensch war. Welche sind die Merkmale dieses „ Mann des brennenden Herzens“, ? Was hat ihn veranlasst, das Val di Non zu verlassen, um nach Mexiko aufzubrechen?
Domenico Calarco. Eusebio Kino wurde am 10. August 1645 in Segno im Val di Non als Sohn von Margherita Lucchi und Francesco Chini geboren. Am selben Tag wurde er in der Kirche von Torra getauft und mit dem Nachnamen seines Vaters eingetragen, den dieser in Amerika später selbst in Kino abänderte, um Entstellungen oder Missverständnisse zu vermeiden. Sein Schulunterricht beginnt in Segno mit einem privaten Hauslehrer; er besucht das Gymnasium im Jesuitenkolleg in Trient und macht seinen Studienabschluss an der Universität von Hall, in der Nähe von Innsbruck, wobei seine besonderen Neigungen für Naturwissenschaften und Mathematik erkennbar werden. Nachdem er sich von einer schweren Krankheit erholt hatte, während der er den Heiligen Franz Xaver angerufen und das Gelübde abgelegt hatte, Jesuit und Missionar zu werden, studiert er Logik, Philosophie und Theologie an den Universitäten von Ingolstadt, Freiburg und München. Am 12. Juni 1677 wird er im bayerischen Eichstätt zum Priester ordiniert. Trotz seines sehnlichen Wunsches, nach China entsandt zu werden, wird er im März 1678 nach Westindien, genauer gesagt in die Missionen von Neu-Spanien (Mexiko) geschickt. Am 12. Juni 1678 sticht er zusammen mit 18 weiteren jesuitischen Missionaren in Genua in See. Ziel ist Cádiz, der Verschiffungshafen der königlichen spanischen Flotte für den amerikanischen Kontinent. Verschiedene Zwischenfälle halten ihn jedoch zunächst beinahe drei Jahre in Sevilla fest, sodass er Übersee erst am 3. Mai des Jahres 1681 erreicht. In seinen ersten Missionsjahren (1683-1685) wirkt er mit wechselndem Erfolg in Baja California, wird dann nach Pimería Alta entsandt, eine Region an der Grenze zwischen den heutigen Bundesstaaten Sonora (Mexiko) und Arizona (USA), wo er am 13. März 1687 eintrifft. Das Gebiet Pimería Alta galt als „nördlichster Vorposten des Christentums“, mit einer Bevölkerung von etwa 30.000 in Wesen und Bräuchen verschiedenen Einwohnern. Für beinah 24 Jahre wird die Pimería Alta das Missionsfeld von Pater Kino. Dort gründet er gut 27 Missionen, fördert den Bau von 19 landwirtschaftlichen Betrieben und führt 50 Expeditionen/Forschungsreisen durch, bei denen er auf dem Rücken von Pferden oder Maultieren und zu Fuß ca. 30.000 km zurücklegt, neue Wege erschließt und akkurate wissenschaftliche Vermessungen der Region vornimmt. Als Mann mit vielen Talenten war Pater Kino ein Verfechter und Förderer der Menschenrechte der Ureinwohner, und vor allem Gesandter, Zeuge und Diener der Mission Christi, der Hoffnung der Welt. Die Durchquerung der Wüste war für Pater Kino keine Flucht vor den Menschen, sondern bildete einen wichtigen Abschnitt auf seiner spirituellen Reise, eine heftige Zeit der Reifung der eigenen Entscheidungen und des Treffens mit „dem Gott, der errettet“. Pater Kino hat aus seinem täglichen Weg einen Lobgesang des Gottvertrauens gemacht. Angezogen vom „brennenden Dornbusch“, war seine Seele begierig nach der Wärme Gottes, „Gott wie das Feuer, wie die Sonne, wie das Licht“, und sehnte sich innig danach, immer mehr im Dialog mit dem Herrn zu stehen. Beseelt von der Liebe zu Gott und zu seinem Nächsten, machte er sich zum „Schwachen mit den Schwachen, um die Schwachen zu gewinnen, und alles für alle, damit um jeden Preis jemand errettet würde“. Der Tod ereilt ihn am 15. März 1711, im Alter von 65 Jahren, in Magdalena in der Region von Sonora. Er stirbt, wie er gelebt hat, in höchster Bescheidenheit und Armut. Sein Sterbebett: zwei Kalbsfelle als Matratze, zwei Decken aus grober Wolle, um seinen Körper zu bedecken, und sein unentbehrlicher Sattel als Kissen.

M.C. In den Dreißiger Jahren schrieb Herbert Eugene Bolton, einer der berühmtesten Wissenschaftler der lateinamerikanischen Geschichte: „Eusebio Francesco Kino war der wohl charakteristischste Pionier und Missionar von ganz Nord-Amerika: Forscher, Astronom, Kartograph, Bauherr von Missionen und landwirtschaftlichen Betrieben, großartiger Viehzüchter und Verteidiger der Grenzen“. Welche Bedeutung hat der Begriff Grenze in der Geschichte der jesuitischen Pioniere? Und speziell in jener von Pater Kino?
D.C. In einer Konferenz zum Thema ‘Menschen der Grenze für eine Versöhnung’, die vom 11. bis 14. September 1991 in Rom anlässlich des 500. Jahrestags der Geburt von Ignatius von Loyola und des 450. Jahrestags der Gründung der ‘Gesellschaft Jesu’ abgehalten wurde, erklärte Carlo Maria Kardinal Martini SJ:
„Wenn es ein Verdienst gibt, das man der Geschichte der Jesuiten trotz ihrer Mängel und Fehler zuerkennt, dann ist es, denke ich, jenes, stets vermieden zu haben, auf Bestehendem oder schon Geprüftem zu verharren und vielmehr immer dem Ruf zu folgen, neue Horizonte der Evangelisierung, im Dienste der Kultur und des menschlichen Fortschritts zu entdecken, zu definieren und zu erreichen. Deshalb hat der Begriff „Grenze“, der an sich bereits eine Begrenzung darstellt, über die man weder hinausgeht noch hinausgehen sollte, die Jesuiten von jeher gereizt, als ein Hindernis, das es zu überwinden gilt und ein Ziel, das es zu erreichen und zu überschreiten gilt.“
Pionier der Grenze – ein Begriff, der hier weniger für einen Ort der Trennungen und Vermischungen, Konflikte und des Austauschs steht, als mehr für neue Horizonte, ferne Länder, andere Völker und andere Kulturen –, Pater Eusebio Francesco Kino vereinte in sich das unbändige Verlangen, das Evangelium zu verkünden, das unerschöpfliche Engagement für die Förderung und Verteidigung von Freiheit und Würde des Menschen und die große Leidenschaft für die Forschung und die Erschließung neuer Wege, die dazu beitragen würden, das Wort Gottes unter allen Völkern zu verbreiten und die Kirche in immer entfernteren Region zu etablieren.

M.C. In Ihrem Buch „Der Apostel der Pima“ konzentrieren Sie sich auf das Wirken Kinos für die Verteidigung der Würde der Indianer von Sonora, indem er sich gegen die Zwangsarbeit in den Silberminen auflehnte, die die spanische Monarchie ihnen auferlegte, und auch in Konflikt mit den anderen Missionaren geriet. Welche Methode setzte Kino in seiner Mission der Evangelisierung und menschlichen Unterstützung der Ureinwohner um?
D.C. „Man kann ohne jegliche Übertreibung behaupten, – dokumentiert der Jesuitenpater Juan Antonio Balthasar 40 Jahre nach dem Tode Pater Kinos – dass Pater Kino in den 24 Jahren seines Aufenthalts in Pimería alleine mehr geschafft hat, als alle anderen Missionare zusammen, die sich in den 40 Jahren seit seinem Tod nur um ein Drittel der Dörfer, Gebiete und Stämme kümmern konnten, die der missionarische Eifer von Pater Kino angezogen, die er betreut und dem sanften Joch des Evangeliums gefügig gemacht hatte […]. Er war und wird immer ein Vorbild für die Arbeiter im Weinberg des Herrn sein, der Inbegriff dessen, das allen zur Nachahmung diene: Er öffnete die Tür, ebnete den Weg und schritt voran, wie ein Führer, dem alle diejenigen folgen, die danach Streben, den Ruhm Gottes und die Bekehrung vieler Seelen zu vermehren“.

M.C. Kino hat nie damit aufgehört, auch genaueste wissenschaftliche Vermessungen durchzuführen, die er dann in den Dienst der Indianer und der missionarischen Organisation stellte. Erinnern Sie neben seiner Wiederentdeckung, dass Baja California eine Halbinsel ist, weitere interessante Beobachtungen? Wie viele Pläne und Landkarten konnte er zudem nach Europa schicken?
D.C. Er war imstande, 32 wertvolle Landkarten zu erstellen – einige ausgeprägter, andere skizziert – sehr geschätzt von den europäischen Geografen und von ihm in den Dienst der Eingeborenen, der Missionare, der Siedler und spanischen Herrscher gestellt.

M.C. Am 15. März 2011 begehen wir den 300. Todestag von Kino. Trotz seiner kulturellen, sozialen und ökonomischen Verdienste, war Kino doch in erster Linie Missionar, in Baja California, Mexiko und Arizona. Im Jahr 2006 übergab der Erzbischof von Hermosillo Sonora alle Unterlagen zum Verfahren der Seligsprechung, das 1971 auf den Weg gebracht worden war. Ist mit einem Echo zu rechnen, das dieser Mann für seine außergewöhnliche Eigenschaft als Verbreiter menschlicher und christlicher Werte mehr als verdient hätte?
D.C. „Die Jesuiten nennen den Namen Kinos ganz oben“ – schreibt der Historiker Herbert E. Bolton – „in der langen Liste der Missionare der amerikanischen Evangelisierung. Die Cowboys des Südwestens sind in Anbetracht seiner nachweislichen Fähigkeiten im Sattel verblüfft und beinah skeptisch. Die Geografen verbreiten seinen Ruhm als Erforscher und Kartograph. Italien begrüßt ihn als ehrenwerten, wenngleich beinahe vergessenen Sohn. Deutschland ist stolz darauf, unnachahmlicher Tutor des Jesuiten gewesen zu sein. Spanien bezeichnet ihn als einen der stärksten Bauherrn seines Kolonialreichs. Mexiko pflegt die Erinnerung an ihn als großer Pionier der ausgedehnten und legendären Westküste. Kalifornien preist ihn als Vorbild für den Jesuitenpater Salvatierra, seinen ersten berühmten Kolonisator. Arizona verehrt ihn als seinen außerordentlichsten und beispielhaftesten Pionier“.

P.S. Domenico Calarco.
Absolvent der Missiologie, spezialisierte sich im Studium der missionarischen Verkündigung auf dem amerikanischen Kontinent (16. - 17. Jh.), und ist ein Experte zu Pater Eusebio Francesco Kino. Mehrere Jahre war er als Leiter der Monatsschrift „Xaverian Newsletter“ in den Vereinigten Staaten tätig.

 
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