NUMMER 10

     

Rede des Staatspräsidenten Giorgio Napolitano im Rahmen der Feierlichkeiten anlässlich der Aufnahme der
Dolomiten in die Liste der Weltkulturgüter der UNESCO
Auronzo di Cadore, 25. August 2009

 

 

Sehr geehrte Umweltministerin, sehr geehrte Präsidenten der Regionen und Provinzen, sehr geehrter Herr Bürgermeister von Auronzo, Meine sehr geehrten Damen und Herren,
ich möchte vor allem den Familienangehörigen der vier wertvollen Mitarbeiter, die Ihr Leben verloren haben während sie mit Leidenschaft und Hingabe ihren Dienst zum Schutz der Bürger und der Bergfreunde ausgeübt haben, meine Anteilnahme an ihrem Schmerz aussprechen.
Wir bekunden unsere Nähe zur Bevölkerung von Belluno, die weiß, dass diese heute in Auronzo stattfindenden Feierlichkeiten, eine Hommage an ihr Land sind und einen Moment der Besinnung und des Engagements darstellen. Trotz der vorherrschenden Trauer bin ich besonders glücklich darüber hier zu sein und an dieser denkwürdigen Veranstaltung teilzunehmen: Denkwürdig für Sie, für die Menschen der Dolomiten, und auch denkwürdig für Italien, das mit dem heutigen Tag, nach der Auswahl des UNESCO-Komitees auch diese wunderbare Landschaft in die World Heritage List der Weltkulturerben aufgenommen sieht. Die Auswahl basierte insbesondere auf der Anerkennung der Dolomiten als „weltweit eine der spektakulärsten Berglandschaften", wegen ihrer „inneren Schönheit“ und ihrer wertvollen „Kombination geomorphologischer und geologischer Beschaffenheit“.
Diese Anerkennung ist nicht einfach so vom Himmel gefallen, und sie beruht auch nicht nur auf einer Bewertung im Rahmen geschichtlicher und natürlicher Elemente seitens des UNESCO-Komitees. Sie belohnt den fortwährenden Einsatz im Zeichen der Zusammenarbeit der regionalen und lokalen Einrichtungen sowie der italienischen Regierung, und ich hoffe, dass dieser sich ohne jegliche Bevorzugungen konsolidieren wird.
Daher rührt also die Zufriedenheit und die Rührung, die uns heute hier versammelt; und ich wünsche mir, dass bei dieser Rührung auch an den großartigen italienischen Alpinismus gedacht wird. Diesen August ist im Alter von 100 Jahren Riccardo Cassin gestorben. Der gebürtige Friauler bestieg zuerst die Dolomiten und erklomm anschließend auf weit entfernten Kontinenten die höchsten Berggipfel.
Uns vereint selbstverständlich ein Gefühl von Stolz, weil Italien mit den Dolomiten nun mit 44 Welterbestätten das Land ist, das die meisten Weltkulturerbestätten besitzt, wovon 2 zu den Weltnaturerben zählen: Die Dolomiten und die Äolischen Inseln. Und heute habe ich das Glück, auch als ideale Brücke zwischen diesen beiden Standorten zu fungieren, da ich gerade vor Kurzem aus Stromboli zurückgekehrt bin. Eine Insel, die meine Frau und ich besonders lieben und der wir seit Jahrzehnten die Treue halten, während wir mit Auronzo eine schöne Jugenderinnerung verbinden. Somit stehen die Dolomiten und die Äolischen Inseln auf der World Heritage List nebeneinander: Dies belegt die Unteilbarkeit unseres nationalen Erbes, von Nord bis Süd, eine Unteilbarkeit des historischen Erbes und der Schönheit, die unser Italien so großartig machen. Wir haben die Pflicht, wenn es um diesen großartigen Reichtum geht, nicht nur den Stolz miteinander zu teilen, sondern auch die Verantwortung: Ich bin sehr glücklich darüber, dass ich die Worte „gemeinsam“ und „energischer Einsatz“ in einigen Reden gehört habe. Wir haben nämlich gegenüber der Welt die Verantwortung, dieses großartige gemeinsame Erbe zu schützen. Im Übrigen fordert uns auch Art. 9 unseres Grundgesetzes in einem seiner Grundsatzartikel dazu auf, genauer gesagt dass die Republik die Landschaft sowie das historische und künstlerische Erbe der Nation schützen muss.
Sehen Sie, wenn man das Grundgesetz liest – und man sollte dies tun, und immer wieder kontinuierlich tun – wird deutlich, dass das hierbei zitierte Subjekt „die Republik“ ist. Im Wortlaut der Verfassung ist „die Republik“ das Subjekt, das einen großen Teil der Regeln trägt und die Rechte anerkennt sowie die für die Allgemeinheit wertvollen Güter schützen muss.
Die Republik ist zweifelsohne der Staat, die Regierung, das System der Autonomien, die nationalen, regionalen und lokalen Institutionen, die öffentlichen Ämter und die Körperschaften, die für die Einhaltung der Gesetze und für die Sicherheit der Gemeinschaft zuständig sind. Doch auch wir gehören der Republik an, wir alle, als Bürger, als einzelne Personen und auch als Personen im Rahmen der sozialen Gemeinschaften, in denen wir uns vereinen. Daher sind der Landschaftsschutz und der Schutz des historischen und künstlerischen Erbes eine Verantwortung, in dessen Rahmen wir aufgefordert sind, die Behörden dazu anzuregen, sich hierfür voll und ganz einzusetzen. Doch es ist auch eine Verantwortung, die jeder einzelne von uns als Bürger trägt, egal wo wir leben oder tätig sind, v. a. wenn dies an Orten von unschätzbarem Wert für die gesamte Menschheit geschieht. Das Verhalten eines jeden von uns ist wichtig. Es sollte nämlich nicht darauf abzielen, blind die eigenen Interessen zu verfolgen, sondern sich am Schutz der gemeinsamen Reichtümer ausrichten, auch im Interesse unserer Kinder und der künftigen Generationen. Die Landschaft, die natürliche und historische Umgebung, sind Güter, sind Werte, die wir nicht in den Hintergrund rücken dürfen, wenn die Regierungsbehörden ihre Entscheidungen treffen - und was dies angeht, so zeigt sich die Umweltministerin Prestigiacomo entschlossen, was ich begrüße – sie dürfen aber auch nicht von jedem einzelnen ignoriert oder vernachlässigt werden, der plant, ein Haus zu bauen oder der vom Tourismus leben möchte. Die Werterhöhung von Gebieten wie das Ihrige, die opportun darauf abzielen, den Zugang zum Territorium zu verbessern und im Allgemeinen die Wirtschaft und den Tourismus anzukurbeln, müssen mit dem Verständnis für Grenzen und mit dem Sinn für die Einhaltung von Regeln verankert werden.
Auch dieses Engagement wird in den Leitlinien der Stiftung Dolomiten, die gerade gegründet wird, verankert werden. Hier bestehen alle Voraussetzungen, um ein gültiges Beispiel für unser Land zu schaffen, das leider sehr vielen Schäden und ernsthaften Risiken was sein Naturerbe sowie sein historisches und künstlerisches Erbe angeht, ausgesetzt ist.
Ich bedanke mich bei Ihnen für Ihre Anwesenheit und für Ihren Einsatz. Es ist wahr, Präsident Durnwalder, dass der Begriff „Grenzgebiet" für die Dolomiten nunmehr überholt ist: Die Dolomiten sind „eine Berglandschaft, die sich Europa öffnet“. Im Jahr 1998 war ich es, der sich in seiner Funktion als Innenminister – anlässlich des Inkrafttretens des Schengener Abkommens in Österreich – mit seinem österreichischen Kollegen getroffen hat, um die Barriere beiseite zu räumen, die bereits zwei Mal im Laufe des vergangenen Jahrhunderts von blutigen Kriegen gezeichnet war. Dies war das Symbol für das Ende einer tragischen Epoche, in der Teilung und Konflikte vorherrschten. Wir leben nun auf beiden Seiten der Alpen in Frieden und in Freundschaft miteinander. Und in diesem Geiste werden Sie sicherlich weiterhin tätig sein, indem Sie als Bürger Italiens und als Bürger Europas, als Verwahrer wunderbarer Ressourcen, die zum Weltkulturerbe der Menschheit gehören, die eingegangenen Verpflichtungen erfüllen. Ich wünsche Ihnen und den Institutionen, die Sie vertreten, einen erfolgreichen Einsatz und vollsten Erfolg.

Auronzo di Cadore, 25. August 2009 Beitrag des Staatspräsidenten im Rahmen der Feierlichkeiten anlässlich der Aufnahme der Dolomiten in die Liste der Weltkulturgüter.

 
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