juni 2013
Nummer 13

Achte Ausgabe des Ökonomie-Festivals:
„Souveränität im Konflikt“

DEMOKRATIE IN KRISE
MEHR REGELN FÜR POLITIKER UND MÄRKTE

Caterina Dominici

 

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Die Schwierigkeiten, denen die im letzten Jahrhundert nach den zwei Weltkriegen und den Schrecken des Nazismus, der Shoah und der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki entstandenen Demokratien entgegentreten mussten, finden Ausdruck in der gegenwärtigen Krise der Europäische Union, in der versucht wird, die schwere Finanzlage in den Griff zu bekommen, welche die Lebensrechte der Völker und von Millionen am Geschehen unschuldiger Jugendlicher mit Füßen tritt. Am Verschulden dieser Krise ist wieder einmal die Demokratie angeklagt, die seit den Tagen von Athen zu Perikles Zeiten als die ideale Institution für die gute Regierung der Gesellschaft gilt, im Gegensatz zur Militärdiktatur von Sparta oder dem von Platon in Politheia beschriebenen autoritären Modell.
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Aber ebenso wie andere vom politischen Denken hervorgebrachte Wörter – etwa Kommunismus, Liberalismus, Faschismus oder Nazismus – ist das Wort „Demokratie” nur ein Etikett, mit dem eine Sphäre bezeichnet wird, in der der Bürger und die gesamte „Domus” eine grundsätzliche Funktion in der Regierung eines Staates haben. Während in den ideologisch geprägten Modellen die Regierung den in sich begrenzten Kasten von Militärs, Religionshüter oder einer „Regierung der Philosophen“, wie Platon das genannt hatte, anvertraut ist, nimmt in einer idealen Demokratie das ganze Volk an der Regierung teil, indem es in allgemeiner Wahl seine Vertreter wählt. Platons Ablehnung lag in der Schwierigkeit dieser Volksvertretung, die sich häufig durch persönlichen Ehrgeiz der an der Regierung beteiligten politischen Klasse verstärkt zeigte und so durch eigennützige Gesetzgebung systematisch zur „Tyrannei“ degenerierte.
Um eine demokratische Regierung aller zu bekommen ist es deshalb nötig, dass die für die Exekutive verantwortliche Gruppe von der gesetzgebenden Macht, der heiligsten Macht eines Staates, getrennt sei.
Das Scheitern der Demokratie von Athen wurde durch die Entartung in die Tyrannei bewirkt, und das bedeutete das vorläufige Ende dieser großen Idee, die erst zu den Zeiten der Kommunen im Zuge des Humanismus wieder neu aufkam. Erste Zeichen davon finden sich als Sujets der Malerei in den Fresken des Signorelli über das Buongoverno, das gute Regieren, im Palazzo Comunale von Siena und in Raffaels Schule von Athen in Rom. Später kamen dann die politischen Überlegungen der Renaissance dazu.

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Werken wie Der Fürst von Nicolò Macchiavelli aus dem Jahr 1552, die Sechs Bücher über die Republik von Jean Bodin, 1576, der Leviatan von Thomas Hobbes, 1651, und hin zum Gesellschaftsvertrag von Jean Jacques Rousseau, 1762, ist es zu verdanken, dass sich die Idee einer modernen Demokratie neu belebt und zuerst die englische Revolution von 1647, dann die amerikanische von 1776 und zuletzt die französische von 1789 beflügelt hat. Damals wurden die ersten Parlamente mit Volksbeteiligung gebildet. Danach folgten 1816 die Republik Argentinien, 1828 Uruguay, an dessen Revolution auch der junge Giuseppe Garibaldi teilgenommen hat, und 1889 die Republik Brasilien.
Aber wie schon Platon richtig angemahnt hatte, behielt der Staat mancherorts das Königtum und wurde eine parlamentarische Monarchie, und in Frankreich war die Republik mehrmals den Angriffen der Dynastie Napoleons und der Monarchie selbst ausgesetzt. In Südamerika wurden die jungen Demokratien häufig angegriffen und erst in letzter Zeit, nach dem Staatsstreich in Chile und den Vorfällen der Desaparesidos in Argentinien, wurden in allen modernen Staaten demokratische Ordnungen eingeführt.
Nur in den USA hat das demokratische Modell seit 1789 und bis zu den heutigen Tagen dauerhaften Bestand, wobei es etliche politische und finanztechnische Krisen zu überwinden hatte. Das geschah auch mit harten Repressionsmaßnahmen wie zum Beispiel 1919 denen gegen die Sozialisten, denen gegen den Liberalismus der Finanzmärkte mit Delano Roosewelt in den 30er-Jahren und endlich den gegen den Kommunismus gerichteten mit dem „Maccartismus“ der 50er-Jahre in Hollywood.

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Zwischen der amerikanischen Demokratie und den jungen, in den 40er-Jahren aus der Auflösung des Faschismus und des Nazismus und dann in den 90er-Jahren aus dem Verschwinden des realen Sozialismus in Osteuropa hervorgegangenen Demokratien Europas bestehen noch immer bedeutende Unterschiede. Während einigte Staaten Europas konstitutionelle oder parlamentarische Monarchien geblieben sind, wie Spanien, Holland, Belgien, Dänemark, Norwegen und Schweden, sind nur Frankreich, Deutschland, Italien, Portugal und Griechenland parlamentarische Republiken oder Bundesrepubliken geworden. DEMOKRATIE IN KRISE MEHR REGELN FÜR POLITIKER UND MÄRKTE image

Sie alle sind moderne Demokratien, aber alle haben sich voneinander unterscheidende Verfassungen und Richtlinien, wie etwa das Wahlrecht, die Parteienfinanzierung, die Eingriffe des Staates in die Wirtschaft und das Leben der Einzelnen. Eine konstitutionelle oder parlamentarische Monarchie kann also paradoxer Weise demokratischer sein als eine reine Republik, denn das, was wirklich demokratisch ist, sind die Normen, welche die demokratische Teilnahme gewähren und die Kontrolle der politischen Klasse regeln. Wie schon Platon sagte, gilt es als erstes, die politische Klasse unter Kontrolle zu halten. Dazu braucht es neue Regeln zur politischen Vertretung, der Ämterhäufung, der Dauer der Mandate, der Vergütung der Ämter und der Trennung zwischen Exekutive und Legislative.
In den letzten Jahren hat sich aber ein weiterer Feind der Demokratie am Horizont gezeigt: die Anarchie der Märkte. Der Fall der Mauer in Berlin 1989 hat in der Tat die Wachsamkeit über die „Grenzen“ zwischen dem „Markt“ und der demokratischen Beteiligung am wirtschaftlichen Leben in allen Bereichen geschwächt. Das brutale Gesetz von Angebot und Nachfrage hat nicht nur die Industriemärkte, die Dienstleistungen des Handels und die Unternehmensbeteiligungen überschwemmt, sondern auch die Märkte der Güter des Grundbedarfs wie Energie, Kommunikation, Transport, Arbeit, Gesundheit, Ausbildung und Kultur, bis hin zu den Exzessen beim Wasser und der Luft.

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Wenn Demokratie die Beteiligung der gesamten Bevölkerung bedeutet, ohne Unterschiede bei der Wahl ihrer Vertreter, braucht es heute auch Demokratie in der Reglementierung der Märkte. Dabei darf die Vitalsphäre der menschlichen Gesellschaft nicht in Mitleidenschaft gezogen werden, wie das ganz einfach der Liberalismus will. Es muss die Existenz von Wirtschaftsbereichen anerkannt werden, die nicht von den brutalen Gesetzen von Angebot und Nachfrage bestimmt werden, sonder von No-Profit-Regeln. Die Unterschiedlichkeit der Betroffenen muss akzeptiert werden, wobei es auch zu unterscheiden gilt zwischen Individuen, Leuten der Wirtschaft, Produkten im Allgemeinen und Gütern des Grundbedarfs wie Luft, Wasser, Energie, Ausbildung und Gesundheit. Dabei ist es besonders nötig, das Vorhandensein von „Einzelzellen“ zu berücksichtigen: einer Gesellschaft oder einer Gemeinschaft, in denen besondere Regeln gelten, wie etwa die der Dienstleistung, des öffentlichen Nutzens, aber auch der Hilfe und der Solidarität.
Wenn Kommunismus und Faschismus zusammengebrochen sind, weil es keine Marktwirtschaft gab, muss die Demokratie das mit ernsthaften Gesetzen einschränken und kontrollieren können, und diese Gesetze müssen der Demokratie Vitalität erlauben, ohne aber der Spekulation, der Armut und der Anarchie Vorschub zu geben.