Frühling in den Bergen
Marek Grocholski
Es ist der zweite April, keinesfalls ein Aprilscherz. Das absolute Weiß des Schnees, die Frische des Morgens, blauer Himmel. Ich hatte schon ganz vergessen, dass es so schön auf der Welt sein kann. Noch gestern war es neblig und trüb, so wie den ganzen Winter über. Heute sind wir die ersten Touristen auf der Kondratowa. Wir trinken Tee in der Sonne auf der Terrasse vor der Baude.
Wir legen die Lawinendetektoren an, überprüfen, ob sie sich gegenseitig „sehen“. Solche Erinnerungen, es ist toll, aber… Nach einer Weile ist nur noch das Klappern der beweglichen Skibindungen zu hören. Wir gleiten in Richtung des Passes unterhalb der Kopą Kondracką. Ich versuche Ludwik einzuholen und bemerke deshalb mit Verspätung, dass sich das Blau am Himmel irgendwie weiß verfärbt hat. Eine dunkle Wolkenwand über dem Kamm... – Föhn? – Ja, wahrscheinlich Föhn.
Nachdem wir oberhalb von Kamień herausgekommen sind, ziehen wir eilig die Skijacken an, wobei der Wind die in den Schnee gesteckten Skistöcke umwirft. Ludwik hat eine Idee – wir kürzen den Ausflug ab. Vielleicht gelingt es uns, das Wetter zu überlisten. Das Abnehmen der Steigfelle bei Wind ist eine Spezialität guter Skialpinisten, nicht aber meine.
Fünf Zentimeter frischer Pulverschnee auf hartem Untergrund. Die Abfahrt ist reines Vergnügen, sogar ein größeres als das Teetrinken auf der Bauden-Terrasse. Sie dauert aber leider nur kurz an. Wir legen die Steigfelle wieder an und biegen in Richtung Małe Szerokie ab.
Der Wind hat sich gelegt, die Sonne ist zurückgekehrt. Über den Neuschnee ist hier noch niemand vor uns gegangen. Wir kommen an den letzten untersetzt-stämmigen Fichten vorbei. Die weißen Falten des Geländes, über die wir uns hinwegbewegen, sind wie eine Erscheinung eines idealen Ovals. Wir kommen zu einem kleinen flachen Tal, genannt „die Hölle“ oder in der Koseform „das Höllchen”. Heute würde ich eher „der Himmel“ sagen. Wie sonst sollte man einen Ort nennen, der – entrückt der alltäglichen Realität – lichtgetränkt und von oben Himmelblau abgeschlossen ist. Die Landschaft ist noch winterlich, aber es ist schon Frühling. Es gibt einige Täler in der Tatra, wo er unbemerkt kommt. Und es gibt andere, wo er triumphal mit Getöse und glucksendem Wasser Einzug hält.
– Diese niedrigen Erlen anstatt der Latschenkiefern wachsen hier genau wie in den italienischen Dolomiten – sagt Ludwik. Tatsächlich. Ich bewege mich in Gedanken weit weg von hier. Interessant, wie es dort wohl jetzt ist? Wahrscheinlich Frühling, wie in der Tatra. Und über uns der blaue Himmel Italiens.