Interview mit Francesco Moser
Matteo Ciaghi
Nach so vielen Rennen (273 Siegen bei Straßenrennen) ist Francesco Moser in die Ruhe seiner Heimat zu-rückgekommen: zu den Weinbergen, den Traditionen, der Leidenschaft für seine Gegend. Das Bauerngut Maso Villa Warth, das er gemeinsam mit seinem Bruder Diego gegründet hat, fasst all diese Elemente in seinen Früchten zusammen. Dafür zählt vor allem auch sein geographisches Umfeld, das Trentino.
Zum ersten Mal 1928 durchgeführt, hat sich die Polen-Rundfahrt in den letzten 20 Jahren mehr und mehr der internationalen Beteiligung geöffnet und somit ihre Stellung als ein Rennen erster Kategorie gefes-tigt. Welche Erinnerungen haben Sie an diese Rundfahrt und wie ist es zu Ihrer Freundschaft mit dem Or-ganisator des Rennens, Czeslaw Lang, gekommen?
Zu meinen Zeiten war der Sport jenseits des Eisernen Vorhangs praktisch nur den Amateuren vorbehalten. Die Polen-Rundfahrt war für sie bestimmt. Als ich mit dem Rennfahren aufgehört hatte, war ich etliche Male dort, sie mir anzusehen, und das auch, weil Lang die Leitung übernommen hatte, der in den Jahren 1983 und ´84 meinem Team angehörte und mit dem ich befreundet geblieben war. Zusammen waren wir auch im Team Saronni gefahren. Erst nach dem Berliner Mauerfall ist die Polen-Rundfahrt ein Profi-Rennen geworden. Schritt für Schritt, mit Abänderungen und Anpassungen, ist es Lang gelungen, die Ge-gebenheiten des Rennens zu verbessern und es zu einem immer wichtigeren Event zu machen, bis es ge-lungen ist, es in die World Tours aufnehmen zu lassen, dem Reigen der international wichtigsten Rad-sport-Veranstaltungen.
Seit einigen Jahren startet das Rennen in Ländern außerhalb Polens und gerade vor drei Jahren war ich es, der Lang die Idee gegeben hat, von Italien aus zu fahren. Er war begeistert. Der Sieg von Moreno hat das übrige getan. So wird die Polen-Rundfahrt dieses Jahr in Neapel starten, zwei Etappen im Trentino haben und die Region dabei kreuz und quer befahren, auf und ab über die Berge, und dabei die bekanntesten Tourismusorte berühren, angefangen von Madonna di Campiglio und hin zu denen der anderen Täler. Ins Trentino kommen viele polnische Touristen, hauptsächlich zum Skifahren. Die Provinzverwaltung und die Tourismus-Vereinigungen haben die Gelegenheit zu einer erfolgreichen Förder- und Werbekampagne für unsere Gegend genutzt.
Was sind denn die Traditionen und Werte des Radsports in Italien und zumal in der Familie Moser?
Der Radsport war in Italien von Anfang an ein sportliches und zugleich populäres Phänomen. Er hat die Massen auf die Straßen gelockt, konnte einbeziehen, Enthusiasmus schaffen und so viele Menschen mitreißen. Radfahren hat in meiner Familie Tradition. Angefangen hat es mit Aldo, und dann sind wir alle nachgefolgt: Diego, Enzo und als Letzter ich vom Jahrgang 1951. Heute sitzen mein Sohn und mein Neffe im Sattel....
Sie sind inmitten der Dolomiten geboren. Welche Bedeutung haben für Sie die Berge und wie haben sie Ihr Leben beeinflusst?
Die Berge haben mir immer schon gefallen. Zu Fuß wandere ich selten und lieber genieße ich sie auf dem Fahrrad. Im Winter bin ich aber gern mit den Skiern unterwegs. Bei den Rennen waren die Berge allerdings stets ein Problem für mich. Sie waren nicht das richtige Terrain für meine physischen Veranlagungen. In den Bergen musste ich immer versuchen, mich zu verteidigen.
Wann haben Sie mit dem Rennen angefangen?
Ich war 18 als Aldo, der kurz vor dem Ende seiner Laufbahn stand, mir ein Rad gegeben hat mit der Frage: „Warum versuchst du es denn nicht?“ Ich habe auf ihn gehört... und da hat meine Karriere angefangen. Ein Jahr bei den Anfängern, zwei unter den Amateuren und 1972 war ich dann Profi.
Die begeisterndste Erinnerung Ihrer Karriere?
Der Sieg im Giro d’Italia, auch wenn der Rekord über 1 Stunde (in Mexiko schaffte er die längste in einer Stunde zurückgelegte Distanz, einen Rekord, den zwölf Jahre lang Eddy Merckx gehalten hatte, NdR) und die Weltmeisterschaft mir große Befriedigungen gebracht haben.
Was sind die hauptsächlichen Unterschiede zwischen dem heutigen Radsport und dem Ihrer Zeit?
Zu meinen Zeiten waren wir Protagonisten nur wenige und immer dieselben, die sich in den gleichen Rennen miteinander maßen und schlugen. Die Teams waren nicht so groß, nur 12 bis 14 Leute, während sie jetzt auch auf 25-28 Mitglieder kommen. Heute gibt es mehr Spezialisierung: der eine ist im Chronofahren gut und widmet sich dem vollständig, der andere ist im Sprint stärker als die übrigen im Endspurt und pflegt das, einige sind im Flachen gut und andere können die Berge besser erklimmen... wir mussten überall stark sein.
Heute werden die Rennfahrer von ihren Teamautos aus übers Radio gesteuert. Wir dagegen bekamen ein paar Informationen längs der Strecke und entschieden spontan, was zu tun war. Heute kann man sich keinen Fehler mehr leisten.
Wie viele Kilometer Chronoetappen sollte es Ihrer Meinung nach in einer Rundfahrt geben?
Ideal wäre es, wenn das Rennen in allen Spezialitäten gleichmäßig ausgewogen wäre. Stattdessen finden wir sieben oder acht Bergetappen, natürlich zum Vorteil des Spektakels, gegenüber zwei oder drei Chronoetappen, die für mich allerdings ausreichen.
In den Bergetappen sehen wir, dass der Kampf zwischen den Führenden immer zum Schluss und auf der letzten Rampe beginnt. Warum ist das so?
Es gibt welche, die früher angreifen, doch wer sich als erster zeigt, verliert. Die Stärksten warten auf das Ende; die Selektion erfolgt allemal. Es gibt keine Angriffe von weit her mehr, auch weil die Etappen viel kürzer geworden sind.
Was zeichnet einen Profi aus?
Vor allem gilt es, eine Spezialität zu haben und diese zu pflegen: stark sein im Endspurt oder gegen die Uhr oder in den Bergen. Dazu müssen dann Charakterstärke, Überzeugung und die Bereitschaft, eine Menge Opfer zu bringen, kommen.