juni 2013
Nummer 13

Interview mit Czesław Lang

Matteo Ciaghi

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Die Tour de Pologne (Polen-Rundfahrt) bietet nicht nur die Gelegenheit, über Radsport zu sprechen, sondern auch über das Leben an sich und die „Formen der Menschheit“. Sie ist die Synthese einer ganzen Welt, die sich anders bewegt und Kontakte sowie die Wiederentdeckung der Mitmenschen fördert. Sie zwingt einen, die Aufmerksamkeit auf Raum und Zeit zu richten und die Landschaft neu zu entdecken und somit der Zukunft und den Träumen Tür und Tor zu öffnen.

 

Dieses Jahr findet die 70. Tour de Pologne statt. In der zweiten Etappe führt die Strecke am Haus der Familie Moser in Palù di Giovo vorbei, als eine Hommage an die Freundschaft, die Sie mit Francesco verbindet.
Welche Erinnerungen haben Sie an die Italien-Periode Ihrer Radsport Vergangenheit, und an die Beziehung zu den Mosers?

Ich habe wunderbare Erinnerungen. Neun Jahre lang war ich Profi in Italien, ein traumhaftes Land, das mir stets am Herzen liegt. Ich war gemeinsam mit anderen großen Radsport-Champions wie Battaglin, Moser, Visentini, Saronni und Argentin Mitglied bedeutender Teams. Eine besondere Erinnerung ist der Sieg der Baracchi-Trophäe in Trient 1988, zusammen mit Lech Piasecki. In Italien habe ich noch viele Freunde, die ich oft besuche. Mit Francesco Moser fahre ich noch gemeinsam Rad, und gemeinsam haben wir auch die Strecke der beiden Etappen im Trentin der 70. Tour de Pologne ausgearbeitet.

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Haben Sie besondere Erinnerungen an die Dolomiten?
In letzter Zeit war ich oft Skifahren, und ich bin der Meinung, dass es keinen besseren Ort hierfür gibt. Die Dolomiten haben einen ganz besonderen Reiz, sie sind einzigartig in der Welt: Ein Meisterwerk der Natur. Mit dem Rad habe ich mehrmals während des Giro d'Italia den Pordoipass, den Gaviapass, den San Pellegrino Pass und die Marmolata überquert. Ich habe wunderbare Erinnerungen daran, vor allem an die vielen Fans, die sich entlang der Strecke drängten, an die mit Plakaten übersäten Straßen, die Camper und an all die vielen Fahnen. Ich hoffe, dass in diesem Jahr ebenso viele Menschen den Champions der Tour de Pologne zujubeln werden.

Was hat Ihre Leidenschaft für den Radsport geweckt? Was ist die schönste Erinnerung Ihrer Karriere?
Die Friedensfahrt, die auch in Polen in den 50er- und 60er-Jahren sehr bekannt war und mitverfolgt wurde. Als Kind habe ich sie natürlich auch mitverfolgt. So sprang bei mir der Funke für den Radsport über. Die schönste und bedeutendste Erinnerung meiner Karriere ist aber definitiv die errungene Silbermedaille bei den Olympischen Spielen 1980 in Moskau. Die Rennen gehen vorbei, aber eine olympische Medaille ruft ein Gefühl hervor, das man nie vergisst.

Welche Traditionen und Werte hat der Radsport in Polen?
Polen hat eine langwährende Tradition, die bereits auf das Jahr 1928 zurückzuführen ist, dem Jahr, an dem die erste Tour de Pologne organisiert wurde. Die polnische Radsportgeschichte kann sich mit zahlreichen Medaillen bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen rühmen, und hat großen Sportlerpersönlichkeiten wie Więckowski, Szurkowski, Piasecki, Jaskula und Spruch hervorgebracht. Der Radsport hat in Polen einen großen Stellenwert. Man denke nur an die nahezu 3 Millionen Zuschauer, die täglich die Tour de Pologne mitverfolgen.

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Was bedeutet Ihnen die diesjährige Ausgabe der Tour de Pologne?
Sie stellt einen Traum dar, der sich erfüllt hat. Ferner ist es das 70. Rennen der Polen-Rundfahrt, daher ist es nur gerechtfertigt, etwas Besonderes, Wichtiges und Innovatives zu organisieren. Das Trentin ist ein wertvoller Partner, und dank den Bemühungen der Region sowie der Zusammenarbeit mit dem Stadtrat Tiziano Mellarini und allen seinen Mitarbeitern sowie den Tourismusverbänden (APT) von Rovereto, Madonna di Campiglio, Val di Sole und Val di Fassa, ist es uns gelungen, dieses große Projekt auf die Beine zu stellen. Es ist das erste Mal, dass ein WorldTour-Rennen in Italien startet und es freut mich, dass es die Tour de Pologne ist.
Zudem stellt dieser Anlass auch eine gute Gelegenheit dar, das Augenmerk auf zwei solch wunderschöne Länder wie Italien und Polen zu legen, die historisch, kulturell, und Dank Johannes Paul II., der Krakau verließ, um sein Amt in Italien anzutreten, auch religiös miteinander verbunden sind.

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Welche waren die größten Veränderungen im Laufe der 85 Jahre, die die Geschichte der Tour de Pologne gezeichnet haben?
Zunächst war es ein Amateur-Rennen, danach „open“ und nun ist es ein globales Rennen wie der Giro d'Italia, die Tour de France und andere historische Radrennen. Die Tour de Pologne ist das größte polnische Sportereignis, und das bringt mir die meiste Zufriedenheit. Wir versuchen uns Jahr um Jahr zu verbessern und möchten die polnische Radsport-Bewegung bestmöglich aufwerten und fördern.

Ist der Radsport in Polen immer noch ein Sport, für den man sich begeistert, oder befindet er sich in einer Krise?
In Polen verzeichnet der Radsport mehr denn je an Zuwachs. Wir sehen dies insbesondere an den Amateuren und an der Jugend. Darum organisieren wir anlässlich der Tour de Pologne auch ein Amateur-Rennen, die „Tour de Pologne amatorów“, sowie Wettkämpfe für Kinder, wie die „Nutella Mini Tour de Pologne“. Von Jahr zu Jahr nimmt das Interesse und die Teilnahme an diesen Events zu.
Darüber hinaus haben wir auch einen neuen Champion, der unsere Herzen inspiriert und Begeisterung bei den Fans hervorruft. Es ist Michał Kwiatkowski des Teams Omega Pharma - Quick-Step, der belgischen Formation, die weltweit zu den Stärksten Teams zählt. Michal ist ein junges Talent. Letztes Jahr war er bereits 2. in der TdP-Gesamtwertung.

Welchen Ratschlag haben Sie, für jene, die wahre Profis werden möchten?
Vor allem benötigt man eine ganze Menge Leidenschaft, denn Leidenschaft ist die Grundlage für den Erfolg. Dann sollte man stets Träume und Ziele haben, die man erreichen möchte, und schließlich sollte man Ausdauer und Entschlossenheit mit sich bringen.