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DIE RETTER
SPRECHEN DIESELBE SPRACHE
Mikuláš Argalács (Poprad, Slovacchia)
Marek Grocholski (Zakopane, Polonia)
Das kleine Tatra-Gebirge zwischen Polen und der Slowakei. Die gigantischen italienischen Alpen. Auf der einen Seite zwei Länder der neuen Europäischen Union; aber machen wir uns keine falschen Hoffnungen, das bedeutet nicht viel. Auf der anderen Seite eines der Gründungsländer der Europäischen Gemeinschaft. Auf der einen Seite das slawische Element, auf der anderen das südländische. Und trotzdem haben die Bergretter – Slowaken, Polen und Italiener – schnell eine gemeinsame Sprache gefunden.
Wir schreiben das Jahr 2006. Die italienische Seite des Monte Bianco. Es war noch dunkel, als vier Polen die Berghütte Gonella verließen. Sie näherten sich einem Steilhang, der auf der Seite des Bergkammes eisbedeckt war, und konnten über sich die Lichter der Gruppe ausmachen, die kurz zuvor aufgebrochen war. Tomek Skrzydłowski, Angestellter des Tatra-Nationalparks, kann nicht sagen, ob es ein Stück Eis oder ein Stein war. Er erinnert sich an einen schweren Schlag im Bereich des Schlüsselbeins. Dann ein schneller Lauf in Richtung des Bergkammes und ... ein schrecklicher Schmerz, nachdem die Wirkung des Adrenalins nachgelassen hatte, als er sich bereits in Sicherheit befand. Die Freunde riefen die Bergwacht an. Erst die französische, dann die italienische. Sie schafften es nicht, sich verständlich zu machen. Tomek erinnert sich nicht, ob es ein sprachliches Problem war oder ob der Wind auf dem Bergkamm so stark wehte, dass die Kommunikation gestört war. Verzweifelt riefen sie die TOPR an, die freiwillige Bergwacht der Tatra in Zakopane. Sie waren hinsichtlich des Erfolgs des Anrufs nicht sehr zuversichtlich. Um so größer warihre Überraschung, als sie das Dröhnen der Motoren eines Hubschraubers über ihren Köpfen hörten. Die Männer der Bergwacht verabreichten dem Verletzten ein Schmerzmittel und brachten ihn schnell ins Krankenhaus von Aosta.
Die Vermittlung der Retter der Tatra erwies sich als erfolgreich. Die Männer der Bergwacht – die Slawen der Tatra auf der einen und die Italiener der Alpen auf der anderen Seite – fanden schnell eine gemeinsame Sprache. – Es sind bereits einige ähnliche Fälle bekannt. Zum Beispiel im vergangenen Jahr, als sich ein polnischer Tourist in den Dolomiten ein Bein brach und ihn die italienische Bergwacht dank der Vermittlung der TOPR aufspüren konnte – erklärt Jan Krzysztof, Verantwortlicher der Bergwacht der Tatra in Zakopane. – Man muss jedoch bedenken, fügt Krzysztof hinzu, dass die Zusammenarbeit mit der italienischen Bergwacht von den Slowaken begonnen wurde. Sie begann auf informelle und freundschaftliche Weise. Einer der Bergretter aus der Tatra hatte in Italien gearbeitet, konnte die Sprache und kannte Menschen, die eine Verbindung zu den Bergen hatten. -Wir arbeiten schon seit drei Jahren mit den Italienern zusammen, erklärt Jozef Janiga, der Verantwortliche der HZS, wir haben sechs Luft-und Bodenrettungsübungen durchgeführt. Wir schätzen diese gemeinsamen Aktionen sehr. Es ist eine hervorragende Gelegenheit für einen Erfahrungsaustausch, um die Bedingungen in den Alpen und in der Tatra zu vergleichen. Wir wollen gemeinsam neue Methoden erlernen. Wir möchten zusammen Sportkurse und -wettkämpfe veranstalten. Und schließlich möchten wir die Interessen der Bergwacht im Bereich der Europäischen Union geltend machen.
Im vergangenen Jahr haben die Slowaken auch die polnischen Bergretter einbezogen. Am 10. Dezember 2008 wurdein Trento eine trilaterale Übereinkunft zwischen der slowakischen HZS, der Bergrettung der Finanzpolizei der Italienischen Republik (Soccorso Alpino della Guardia di Finanza della Repubblica italiana) und der polnischen TOPR unterzeichnet.
-Unsere Männer haben bereits an den Hubschrauber-Übungen in der Tatra zusammen mit den Slowaken und den Italienern teilgenommen, erklärt Jan Krzysztof, und schon dreimal waren sie auf Einladung der Bergwacht in Italien. Es handelte sich um Luftmanöver in Courmayeur und in Sizilien sowie um eine Schulung zur Lawinenrettung mithilfe von Hunden im Bereich des Rollepass in den Dolomiten.
Von wem lernt man während solcher Übungen? – Wir lernen einer vom anderen, erklärt der Verantwortliche des TOPR, in unterschiedlichen Bereichen. An welchem Punkt ist es besser, das Seil unter dem Hubschrauber zu befestigen? Wie löst man das Seil, bevor man sich in die Kabine begibt? Wie hebt man die Trage mit dem Verletzen an Bord? Wie vermeidet man, dass sich das Seil unter dem Hubschrauber verwickelt? Die Retten zum Beispiel haben ein spezielles Anti-Umdrehungssystem perfektioniert und wir versuchen, etwas Ähnliches zu entwickeln.
Wojciech Mateja, der athletischste der Retter aus der Tatra, ein geborener Alpinist, dessen Name von dem des legendären Banditen Madej stammt, hat an dem Hubschraubermanöver in Sizilien teilgenommen. – Es war eine Routineübung, erklärt Mateja, die Rettung eines Verletzten aus einem Steilhang oder die Rettung mit langem Seil aus einer Felswand. Unser Hubschrauber „Sokół“, ein polnisches Fabrikat, steht den amerikanischen Hubschraubern Bell 212 und Bell 412, die die Italiener einsetzen, in nichts nach. Jeder Schulungstag endete mit einem Abendessen in einem Lokal mit viel gutem Essen und Wein. Die italienischen Bergretter sind sehr nett und freundlich, erklärt der Retter der TOPR.
Für die italienischen, deutschen und englischsprachigen Leser sind vielleicht einige Informationen über die Tatra und die Bergretter der Tatra von Nutzen. Die Gesamtoberfläche der Tatra, auf polnischer und slowakischer Seite, beträgt circa 785 Quadratkilometer. Die höchsten Gipfel sind höher als 2600 m ü.d.M. Im Winter sind sie mit Eis und Schnee bedeckt. Es gibt daher häufig Frost und Lawinenabgänge. Oft kommt es zu Unfällen mit Bergsteigern und auch mit Alpinskifahrern. Die Felswände erreichen bis zu 900 m Höhe und es ist hier, wo sich die Zwischenfälle mit Skifahrern ereignen. In diesen Bergen wurden über 600 Höhlen gezählt, weshalb die Bergretter manchmal verletzte Höhlenforscher unter der Erde hervorholen müssen. Die häufigsten Zwischenfälle sind Ausrenkungen oder Beinbrüche und Ohnmachten. Seltener werden Fälle verzeichnet, bei denen sich Touristen im Nebel verirren, oder, noch seltener, Wanderer vom Blitz getroffen werden. Einige rufen an, um Hilfe zu erbitten, weil sie sich vor den Bären fürchten.
In der Tatra verbreitete sich der Gedanke, sich um die Sicherheit der Besucher zu kümmern, nach und nach mit der Gründung der ungarischen Vereinigung in den Karpaten auf der Südseite und der Vereinigung in der Tatra auf der nördlichen.
Beide Gesellschaften wurden im Jahre 1873 gegründet. Zum Vergleich: Der italienische Alpenverein wurde genau zehn Jahre zuvor gegründet. Die gesamte Tatra gehörte zu jener Zeit zur Donaumonarchie Österreich-Ungarn, der südliche Teil zum Königreich Ungarn, das die Slowakei einschloss, der nördliche zur Provinz Galizien, die den südlichen Teil des heutigen Polens einschloss.
Der Anstoß zur Schaffung einer Rettungsorganisation war ein Ereignis, genauer gesagt der Tod des genialen Komponisten Mieczysław Karłowiczy, der am 8. Februar 1909 sein Leben auf einem Skiausflug verlor, als er von einer Schneelawine erfasst wurde. Die freiwillige Bergwacht der Tatra nahm im Sommer 1909 ihre Tätigkeit auf, auch wenn sie erst im Herbst am 29. Oktober eingetragen wurde. Ihr Gründer und erster Leiter war der General Mariusz Zaruski, Alpinist, Skifahrer, Navigator und berittener Soldat. Anfangs wurden die Rettungsmaßnahmen von Freiwilligen durchgeführt. Heute werden die Einsätze hauptsächlich von professionellen Rettungskräften durchgeführt, aber bei Großeinsätzen oder Lawinenabgängen werden auch Freiwillige rekrutiert. Die Hundertjahrfeier anlässlich der Gründung des TOPR wird im Herbst dieses Jahres in Zakopane begangen.
Auf der Südseite der Tatra wurde auf Initiative von Dr. Miachal Guhr, einem Arzt in einer Kureinrichtung, im Jahre 1913 die Tatranská dobrovoľná záchranná komisia gegründet, die sich damit befasste, in den Bergen verletzten Touristen Hilfe zu leisten. Der Erste Weltkrieg unterbrach die Aktivitäten dieser Kommission jedoch bald. Nach dem Ersten Weltkrieg kümmerte sich der Klub československých turistov um die Hilfsleistungen, während des Zweiten Weltkrieg der Klub Slovenských turistov a lyžiarov. All diese Aktivitäten fanden auf freiwilliger Basis statt. Ne-ben Bergführern nahmen einfache Betreiber von Berghütten, Polizisten und Angestellte von Sanatorien und Hotels an den Einsätzen teil. Der zunehmende Fremdenverkehr machte es notwendig, professionelle Rettungskräfte einzusetzen. Im Jahre 1950 nahm eine professionelle, aus drei Personen bestehende Organisation in der Gemeinde Vysoké Tatry den Betrieb auf, die Tatranská záchranná služba. Daraufhin wurde die Tatranská horská služba im Tatranský národní Park gegründet. Im Jahre 2002 verabschiedete das slowakische Parlament ein besonderes Gesetz zur Gründung der Horska záchranna služba, einer professionellen, dem Innenministerium unterstellten Rettungsorganisation. Neben der HZS war in der slowakischen Tatra auch die Freiwilligen-Organisation Dobrovoľný zbor Tatranskej horskej služby tätig. Die Luftrettung wurde von der Letecká záchranná zdravotná služba mit Luftfahrzeugen der Gesellschaft Air Transport Europe Poprad durchgeführt, die über Augusta-A109-Hubschrauber aus italienischer Produktion verfügt. Seit einigen Jahren müssen die durch die HSZ in der slowakischen Tatra geretteten Personen für die Rettungsdienste bezahlen. Auf polnischer Seite wird die Bergrettung vom Staat und zum Teil durch den Erlös aus verkauften Eintrittskarten für den Tatra-Nationalpark finanziert.
Die polnischen und slowakischen Bergretter in der Tatra arbeiten seit jeher zusammen. Die offizielle Zusammenarbeitsvereinbarung zwischen der HZS und dem TOPR wurde am 17. Juni 2004 unterzeichnet. Die gemeinsamen Übungen und sportlichen Wettkämpfe sind bereits die Regel. Die Slowaken sind im Allgemeinen schneller bei Abfahrtslaufwettkämpfen und effizienter bei der Ausbildung von Lawinenhunden. Die Polen sind besser in den Höhlen und schaffen es mit meisterhaftem Können, einen verletzten Bergsteiger mithilfe eines langen Seils direkt aus einer Felswand zu retten. Im Jahre 2008 haben die Polen und die Slowaken gemeinsam sieben Großrettungseinsätze bestritten. Photo Marcin Józefowicz
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