Es ist eine verbreitete Meinung, dass Tourismus und Umweltschutz die nur schwer miteinander vereinbaren Gegenseiten eines Dilemmas sind. Die im Tourismus Tätigen und die Einwohner, die ihre Gebietsinteressen haben, erleben Maßnahmen zum Umweltschutz häufig als Sammlung von Fesseln, die die Entwicklung behindern. Wenn von Naturparks die Rede ist, kommt jedes mal und mit ganz wenigen Ausnahmen der Albtraum wieder, sich Zwangsmaßnahmen unterwerfen zu müssen, die keine Rücksicht auf die berechtigten Bedürfnisse derer nehmen, die in Gebieten mit besonders wertvollem Ambiente leben. Da treffen, gelegentlich auch kämpferisch, Vorstellungen des Umweltschutzes aufeinander, die noch von der Gegensätzlichkeit jener alten ideologisierten Vorurteile geprägt sind, in denen eine "Ja-Kultur" mit ihrer Überzeugung, dass der Tourismus neue und immer mehr Infrastrukturen braucht, und eine auf reines Bewahren verharrende "Nein-Kultur" aufeinander stoßen. Einer kritischen und von Vorurteilen freien Analyse erscheint dieser sich bekämpfende Dualismus zugleich brüchig und naiv. Wenn wir uns die Landkarte des Tourismus in den Alpen ansehen, erkennen wir, dass sich Trends einer negativen Entwicklung überwiegend dort zeigen, wo es in kurz zurück liegender Vergangenheit ein exponentielles Wachstum an Zweitwohnungen, geringe Aufmerksamkeit für sanfte Mobilität und die Übertragung städtisch-metropoler Modelle in die Täler und Dörfer gegeben hat. Andererseits halten jene Gegenden den fast unveränderten Bestand einer treuen Besuchergemeinde aufrecht, in denen auf ökologische Verträglichkeit, auf die Pflege von Acker- und Weideland, auf einen nicht unbedingt naturalistischen Tourismus sondern auf das Gleichgewicht zwischen Mensch und Natur geachtet wird. Es reicht dabei aus, an das Unesco-Schutzgebiet der Jungfrau in der Schweiz zu denken, wo Zahnradbahnen und andere Bergbähnchen zum vom Menschen geschaffenen, integrierten Teil der Landschaft gehören, und sich die Besucherzahlen auf nennenswertem Niveau gehalten haben.
Jetzt, nach der Prestige trächtigen Anerkennung durch die Unesco, sind auch die Dolomiten aufgerufen, die Herausforderung eines Zusammenspiels, in dem die vom Menschen gesetzten Zeichen ein Zusatzwert zum Erbgut der Natur sind, anzunehmen. Die Landschaft der Dolomiten ist sicher an die physische und mentale Bildvorstellung der Felswände und der Spitzzacken, der schillernden Farben von Morgenröte und Sonnenuntergang, den in ihrer bizarren Morphologie einzigartigen Gesteinsformationen gebunden. Aber dazu müssen wir uns auch fragen: Was wären denn die Bleichen Berge, wenn nicht menschliche Gemeinschaften im Laufe der Jahrhunderte Ansiedlungen auf diesen Höhen errichtet hätten? Was für Landschaften hätten wir, wenn es die Rodungen nicht gegeben hätte, die die undurchdringlichen Wälder der Antike in Wiesen, Felder und bewirtschaftete Forste verwandelt haben? Wenn man an die Dolomiten denkt, trägt uns die Phantasie zugleich zu den kleinen, an die sonnigen Abhänge der Hochplateaus geschmiegten Dörfern, zu den Hügelwellen der Almen, zu den Räumen, die dem Wald entzogen und zu hellen Lichtungen gemacht wurden. Aber auch die Architektur der Gasthöfe und der Berghütten, der Höfe und der Scheunen, die Wanderwege und die an den Fels geschmiegten Bergstraßen tragen dazu bei, das typische Landschaftsbild der Dolomiten zu zeichnen. Die Umwelt sozusagen einzubalsamieren, tut der Ökologie keinen guten Dienst. Falls überhaupt, würde es die ökologischen Irrungen nähren, nach denen die Natur sich alle Räume zurück holen sollte, die ihr der Mensch entrissen hat. Die Rücknaturalisierung, die vielerorts verlassene Berggegenden betrifft, bewirkt Gleichförmigkeit der Landschaft, Eintönigkeit der Farben, Absinken der Bio-Vielfalt. Diese Überlegungen legitimieren sicher nicht jedweden Eingriff des Menschen. Ein korrekter Einsatz der Technologien verlangt in der Tat das strikte Beachten von nicht überschreitbaren Grenzen, deren Missachtung Boomerang- Effekte mit unvorstellbaren Auswirkungen haben würde. Das "Museum Berg" kann nicht das anzustrebende Modell sein. Die Natur und das menschliche Wirken sind miteinander durch eine dynamische Entwicklungslogik verbunden, die in Veränderung und Umgestaltung ihren Ausdruck findet. Der Wichtigkeitsgrad einzelner Schutzmaßnahmen ist deshalb unter Berücksichtigung des Eigenwertes eines Gebietes zu betrachten, um so den Möglichkeiten einer weitsichtigen Gestaltung Vorschub zu geben. Diese Maßnahmen müssen die Erkenntnis fördern, dass man durch eine intelligente Pflege des Territoriums den Tourismus nicht abstraft, sondern in die Bahnen lenkt, die zu qualitativ hervorragenden Ergebnissen führen können. Wie kann man also dem scheinbar unvereinbaren Zwiespalt zwischen uneingeschränkter "Ja-Kultur" und beharrender "Nein-Kultur" entrinnen? Es gibt nur eine Möglichkeit dazu: Durch eine "Wie-Kultur", die den Sinn und den Wert des Begrenzten gegenüber der technokratischen Begierde des Uneingeschränkten anerkennt. Wie alle europäischen Gebirge sind die Dolomiten weitgehend menschengeprägt. Ihnen kann man nicht die abstrakten Prinzipien eines Konzeptes der Urweltlichkeit zuordnen, da dabei die Heilmittel sicher schlimmer wären als die Übelstände. Die Absicht der Unesco war, die naturalistischen Eigenarten der Dolomiten zu schützen, ohne in die Wohnbereiche des Menschen einzudringen. Den Menschen, die dort wohnen, steht es nun an, moralische Regeln der Selbstbeschränkung auf sich zu nehmen, um so der Attraktivität der Dolomitenwelt eine Zukunft als Erbgut der Schönheit und der Lebensqualität zu bewahren.

Annibale Salsa

Hauptvorsitzender des italianischen Alpenvereins Club Alpino Italiano (CAI).
Ehrenvorsitzender der Arbeitsgruppe "Bevölkerung & Kultur der Alpenkonvention. Ehemaliger
Dozent von Anthropologie an der Universität von Genova.


Opere di:
Claudio Menegazzi

 
 
 
 
© 2006-2010 EcodelleDolomiti