NUMMER 9

     

Und sie lebten wohlhabend und glücklich:
eine weltoffene roveretanische  Akademie

Annalisa Dolzan

 

 

 

     
 
Wenn die gepuderte Perücke nicht wäre, würde sie aussehen wie Mauro. Bianca Laura Saibante erinnert mich hingegen an eine ehemalige Kollegin, eine sehr strenge Lehrerin.
Die Profile der Begründer der Accademia Roveretana degli Agiati haben etwas Familiäres. Doch ich weiß, dass sie sich trotz der in ihren Porträts zu erkennenden Strenge auch zu vergnügen wussten.
   
     

 

Rovereto lebte nicht allein von Seide
Man schreibt das Jahr 1750, als sich ein Literatenclub im Haus Saibante rund um fünf roveretanische Sprösslinge versammelt, die den Salons der höheren europäischen Gesellschaft nacheifern: Bianca Laura und ihr Ehemann, der Cavaliere Giuseppe Valeriano Vannetti. Die Literaten Girolamo Tartarotti, Francesco Antonio, Giuseppe Matteo Felice Giovanni und der Abt Gottardo Antonio Festi, Gymnasiallehrer.
Sie wollen die Trägheit aufrütteln und Leben in die Stadt bringen, die „nur von Seide, Kokons und Seidenraupen angereichert ist” – sowie von einer moralischen Rückständigkeit, sagt Tartarotti.
Und so entsteht die Accademia Roveretana degli Agiati di Scienze, Lettere ed Arti, die Roveretanische Akademie der Würdigen der Wissenschaften, Literatur und Künste. „Der Würdigen” - lentorum in Latein – um anzuzeigen, dass die intellektuelle Aktivität otium ist. Das akademische Wappen, auf dem sich eine kleine Schnecke langsam an einer Pyramide hinaufschlängelt, soll den menschlichen Intellekt versinnbildlichen, der ohne Eile und anscheinend ohne Mühe nach der Kenntnis strebt.
Dank der Korrespondenz mit europäischen Literaten und Wissenschaftlern häufen sich die Versammlungen im Hause Saibante. Sie stellen eine Gelegenheit dar, um über Wissenschaft und Philosophie zu diskutieren, um Sonetten und Novellen – größtenteils humoristische - zusammenzustellen und zu teilen und gemäß dem Statut eine Kopie in der Akademie zu hinterlegen. Auf diese Weise nimmt der historische Kern des Archivs und der Bibliothek Form an. Wie auch die Kunstsammlung, die mit einem Porträt der Kaiserin Maria Theresia von Österreich eingeweiht wurde, bei der die Agiati, oder Würdigen im Jahr 1752 eine offizielle Anerkennung beantragten.
Das Hoheitsdekret vom 29. September 1753: Seit jenem Datum bewahrt das akademische Wappen den Habsburgischen Doppeladler und die Einrichtung rühmt sich mit der Bezeichnung „Kaiserlich-Königliche Institution”, da sie die Rechte und Privilegien genießt, die anderen bedeutenden Kulturinstitutionen des Reiches zugesprochenen werden.
Doch dies ist Geschichte. Die Bibliothek beherbergt gelehrte, mit bekannten Namen, Daten und Ehrungen gespickte Schriftstücke. Doch möchte ich die Stimme des Prof. Livio Caffieri, Präsident der Akademie (zu jener Zeit scheidender Präsident) hören, die mir über die Ereignisse und Geschehnisse dieser Institution erzählt.
Ich betrete sein Büro, nachdem ich mich im verkehrten Stock des Palazzo della Fondazione della Cassa di Risparmio di Trento e Rovereto auf der Piazza Rosmini verirrt habe, in dem sich die Akademie befindet. Den Weg zurückgehend komme ich zu einem privaten Fahrstuhl, der sich zu einem gedämpften Flur hin öffnet. Willkommen, Agiati.

Nennen wir sie nicht globalisiert
Der ehemalige Italienisch- und Lateinlehrer und späterer Rektor «zur Zeit der Studentenaufstände» Prof. Caffieri fungiert seit 1993 als Präsident. Obwohl Jahrhunderte zwischen ihnen liegen, fühlt er sich mit der Figur der Kaiserin Maria Theresia sehr verbunden, «die einen bedeutenden Beitrag zur Entwicklung von Triest, meiner Geburtsstadt leistete – erzählt er –, indem sie die Realisierung des Hafens förderte und diesen zu dem Hauptanlegehafen des Habsburger Reiches erklärte». Es ist nicht verwunderlich, dass die Austausche im 18. Jahrhundert so zahlreich und intensiv waren. «Rovereto lag an der Grenze des Reiches – fährt der Präsident der Agiati fort – und wurde von ausgesprochen namhaften, italienischen und deutschen Intellektuellen bewohnt. Viele von ihnen hatten in Innsbruck, Salzburg oder Wien studiert und ihre Studien in Padua, Bologna, Siena oder Rom beendet. Man kann hierbei zweifellos über eine solide europäische Ausbildung sprechen, schon allein aus dem Grund, da sie im Jahr 1750 noch nicht von dem Schatten des Nationalismus verhüllt wurde». Zu den bekannten italienischen Mitgliedern der Akademie zählten unter anderem Antonio Rosmini, Fortunato Depero und Carlo Goldoni. Heute rühmt sie sich 330 Mitgliedern, unterteil in „Ordentliche”, gebürtig aus Trentino-Südtirol, und „Korrespondenten”, die aus anderen Teilen der Welt stammen. Die Zulassung oder Aufnahme erfolgt mittels einer Kandidatur durch zwei Mitglieder und untersteht einer Prüfung und Abstimmung des Rates der Akademie.
Die Austausche, die Öffnung zum interdisziplinären Studium und die Beziehungen, die mit den bedeutendsten italienischen und europäischen Universitäten und Akademien unterhalten werden, stellen weiterhin die Leitlinie der Agiati dar. Noch heute zählt eine weitreichende historische, kulturelle und humanistische Perspektive zu den Hauptzielen. Es wechseln sich demnach Kongresse und Konferenzen, Präsentationen von Buchbänden und Öffentlichen Austauschen ab, präzisiert nicht ganz ohne Stolz Prof. Caffieri - «in Gedenken an lokale und nationale Institutionen, wie die Accademia dei Lincei an der Universität von Verona, Padua, Bologna und vielen anderen, die durchschnittlich 33 Veranstaltungen im Jahr realisieren. Diese Austausche ermöglichen, hoch angesehene Persönlichkeiten bei uns begrüßen zu können. Und wir sind zudem stolz darauf, die Konferenzprotokolle veröffentlichen zu können (was nur Wenige schaffen): Jedes Jahr halten wir 4 oder 5 Konferenzen ab, von denen ich unbedingt die über Saba und die über Tommaseo, den bedeutendsten und weniger bekannten Polygraph der europäischen Geschichte des 19. Jahrhunderts, erwähnen möchte».
Zu den jüngsten Initiativen der Institution zählt die Ausstellung «Orsi, Halberr e Gerola. L’archeologia italiana nel Mediterraneo» («Orsi, Halberr und Gerola. Die italienische Archäologie im Mittelmeerraum), die in Zusammenarbeit mit dem Stadtmuseum von Rovereto organisiert wurde, im letzten Dezember eine Reihe von Konferenzen bot und bis zum 30. Juni 2010 besichtigt werden kann.
Diejenigen, die in den wissenschaftlichen und literarischen Beiträgen von Taudero, Oddone, Pier Alvise, Udalrico und vielen anderen stöbern möchten, werden sich bei den über fünfzigtausend Bänden der Bibliothek der Agiati, die sich in der Stadtbibliothek von Rovereto erstreckt, bestimmt nicht langweilen. Im Schritt der Zeit - doch ohne die Düfte des antiken Papiers und Tinte – finden man einige Texte auch auf der Webseite : http://www.agiati.org

 
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